Nicolas Dierking von TLGG:
Awards bringen uns voran, Awardkultur lähmt uns
TLGG-Manager Nicolas Dierking hat eine Antwort auf die Award-Schelte seines Kollegen Raphael Brinkert parat.
Nach Cannes ist vor Cannes. Nach der Awardgala ist vor der Einreichungsphase. Allerorten und allerjahre bewerten, würdigen, vergolden smarte Jurys gute Ideen, aufmerksamkeitsstarke Kampagnen, edle Produktionen und innovative Frechheiten. Agenturen, Marken, Unternehmen schicken Delegationen an Bars und Buffets und im besten Fall auch kurz über die Bühne, um interessant geformte Auszeichnungsartefakte und den Ruhm des Moments abzuholen.
Den Agenturen bringen die Gewinne dabei Punkte für verschiedene wohlgewichtete Kreativrankings. Und auch wenn Raphael Brinkert an dieser Stelle die Businesswirkung der Award-Invests schwinden sieht: Gutes Abschneiden bleibt Thema, bringt Aufmerksamkeit, bringt Presse, sichert jenseits des Neugeschäfts auch Bestandskontakte, zieht noch immer gute Leute an.
Doch selbst wenn sie tatsächlich nur Brownie Points brächten: Awards spielen eine wichtige und wunderbare Rolle. Sie würdigen gute Teamarbeit, sie honorieren das Vertrauen der Kunden, sie sind Belohnung und Ansporn. Von Cannes bis zur kleinsten Branchenawardgala bieten sie auch tolle Klassentreffen und sind damit gelegentlich selbst Geburtsort guter Ideen. Prosit! Wir sind mit TLGG gelegentlich auch gern dabei. Fühlt sich gut an, macht Spaß, inspiriert, schafft Sichtbarkeit für Team und Kunden.
Als Bewertungsmaßstab einer Branche im Umbruch jedoch können Awards und Kreativrankings nicht funktionieren. Die aus den Gewinnen abgeleiteten Rankings können für die Positionierung der Agentur, für die Idee der Agentur der Zukunft an sich nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Mehr noch: Das Denken in Rankings schadet. Es verstellt den Blick auf einen grundsätzlichen Wandel im Agenturgeschäft und belohnt störrisches Verharren. In Cannes lässt sich die Mai-Aufregung um den britischen Audi-Pitch sauber wegfeiern. Doch war sie nicht die erste ihrer Art, noch wird sie die letzte bleiben.
Man muss sich gar nicht so radikal positionieren wie TLGG-Mitgründer Christoph Bornschein, der regelmäßig das Ende der Agentur an sich durchorakelt. Man kann es entspannter sehen, aber grundsätzlich bleiben: Die Value Proposition von Agenturen ändert sich massiv – der klassische Auftrag, Aufmerksamkeit und Markenwahrnehmung zu schaffen, lässt sich nicht mehr nur durch die Verbreitung einer kreativen Idee erfüllen.
Der Anspruch muss sein: Wir gestalten die Markenerlebnisse der Zukunft. Und die digitale Welt sorgt eben dafür, dass Markenerlebnisse sehr viel mehr als AIDA, bunte Bilder und kühne Behauptungen sind. Der Wert der Kreativpreise sinkt eben nicht nur, weil es zu viele davon gibt, sondern weil die Bedeutung der Kreation als Raison d’Être der Agenturbranche im Wandel ist.
Der Wandel der Branche folgt dabei der Demokratisierung des Markenerlebnisses: Marke wird in allen Interaktionen und entlang aller Geschäftsprozesse definiert. Und dabei werden Nutzererwartungen industrieübergreifend transferiert, mit erheblichen Konsequenzen für Unternehmen und Agenturen: Die Ansprüche des Nutzers und seine Erlebniswelt prägender Faktor und Maß aller Markenerfolge. Dafür müssen sich Unternehmen neu aufstellen, die Organisation integrieren, Datensilos auflösen Erkenntnisse ableiten.
Die Rolle der Agentur dabei: die der smarten externen Vermittlerebene, die analysiert, berät und entwickelt. Verstehen, konzipieren, zur Umsetzung hin beraten und steuern, das ist das nachhaltigste Geschäftsmodell. Dabei spielt die Strategie eine entscheidende Rolle: Sie stiftet Sinn, sichert Impact, befähigt Organisationen und Technologie-Umgebungen zu neuen Lösungen.
In der finalen Umsetzung selbst ist die Agentur dann vor allem Talentvermittlung: Die richtigen Leute für den richtigen Job. Inhouse-Spezialisierung, ein übergreifendes Tiefenverständnis und ein breites Netzwerk sind dabei die Schlüssel zum Erfolg.
Ein Kreativranking macht – sein Name sagt es – nur diesen letzten Teil sichtbar. Und ein Award, so sehr er auch vom ganzen Team gefeiert wird, zeichnet letztlich nur die schönste Spitze des Eisbergs aus. Erfolge feiern: unbedingt. Die Zahl der Feiern zum Maßstab wertorientierter Arbeit machen: nicht das nachhaltigste Modell.
Über den Autor:
Nicolas Dierking ist Head of Strategy bei TLGG. Hier begleitet er Kunden rund um das Thema Service Design, entwickelt neue Business Cases und entwirft digitale Kommunikationsstrategien.