Strategie für Fernost:
China als Herausforderung, nicht als Bedrohung sehen
Deutschland hat einiges zu bieten - starke Marken und Werte wie Kreativität und Verantwortungsbewusstsein. Deswegen stehen die Chancen für uns in China nicht schlecht, sagt Martin Schnaack, Avantgarde.
China ist eine ökonomische Supermacht und seine Digitalwirtschaft kann es durchaus mit dem Silicon Valley aufnehmen. Man kann Chinas Wirtschaftspower mit Respekt, Bewunderung oder Neid betrachten - oder sogar mit Besorgnis. Denn China will an die Weltspitze – nicht nur im Bereich Wirtschaft und Technologie, sondern auch politisch und kulturell. Aber Angst ist kein guter Ratgeber. Wie wir stattdessen an das Thema China herangehen sollten, erklärt Martin Schnaack, Gründer und CEO der Brand Experience Agentur Avantgarde, die seit 15 Jahren Erfahrungen im chinesischen Markt sammelt.
1. Zwei typisch deutsche Denkansätze blockieren uns
Wer die Kennzahlen Deutschlands mit denen Chinas vergleicht, hat schon verloren. Die chinesische Kultur ist so viel älter als unsere, das Land so viel größer und die Wirtschaft so viel dynamischer, dass wir bei quantitativen Vergleichen nur verlieren können.
Der zweite Fehler besteht in der German-Angst-These, dass das Land über kurz oder lang keine westlichen Marken mehr brauche. Viele glauben, dass Chinesen aus Nationalstolz nur so lang im Ausland einkaufen werden, bis ihre eigene Industrie gleichwertige Marken entwickelt hat. Diese beiden in Deutschland häufig anzutreffenden Denkmuster gilt es zu vermeiden. Sie blockieren uns und lassen uns vergessen, wie viele starke Marken und Produkte wir entwickelt haben.
2. Marken mit Strahlkraft werden im Konkurrenzkampf stärker
Es stimmt, dass die Chinesen stolz auf ihre Kultur und ihre Nation sind und sich das im Einkaufsverhalten niederschlägt. Natürlich ist Huawei ihnen näher als Samsung oder Apple. Trotzdem faszinieren globale Marken in Peking und Shanghai genauso wie in Paris oder Berlin. Es liegt in ihrer DNA: Starke Marken werden im Konkurrenzkampf nicht schwächer, sondern stärker. Solange sie unverwechselbar bleiben, Mehrwert bieten und gut geführt werden, respektiert man sie. Chinesische Kunden haben dafür sehr feine Antennen.
3. In manchen Segmenten gibt es keine Alternativen
Dazu gehören der Markt für Sportartikel und das Luxussegment, das trotz aller disruptiven Energie und trotz gigantischer Geldmengen, die China investiert, vermutlich noch zehn bis 20 Jahre brauchen wird, um auf europäisches Niveau zu kommen. Dennoch sollte sich bei uns niemand in dieser Komfortzone ausruhen und sich zu stark auf das Image der eigenen Traditionsmarke verlassen.
China will jeden Tag besser werden und erwartet diesen Ehrgeiz auch von ausländischen Partnern. Dazu gehört nicht nur das herausragende Markenerlebnis, sondern auch Sensibilität in der Kommunikation. Wer das hinbekommt, wird auch in Zukunft im Reich der Mitte gute Geschäfte machen.
4. Chinas Tempo ist atemberaubend – aber Schockstarre bringt uns nicht weiter
Legendär ist etwa die chinesische Verkehrstechnologie: Von Shanghai nach Peking dauert es mit dem Zug viereinhalb Stunden. In den USA braucht die Eisenbahn zwischen New York und Chicago für etwa die gleiche Strecke 19 Stunden. Auch im klassischen Einzelhandel ist die Entwicklungsgeschwindigkeit der Chinesen beachtlich. Hier können wir noch viel lernen, aber ohne dabei in Ehrfurcht zu erstarren. Besser sollten wir selbstbewusst unsere Tugenden herausstellen, für die wir in China geschätzt werden: Verantwortungsbewusstsein, Teamfähigkeit, Kreativität und Verständnis für komplexe Prozesse.
Fazit: China und Europa können viel voneinander lernen
Nach 15 Jahren Agenturgeschäft in China habe ich das Land zumindest einigermaßen kennengelernt und seine Entwicklung immer aufmerksam, fasziniert und neugierig verfolgt. Ich bin überzeugt, dass Europa und China noch viel voneinander lernen können. Über einige Dinge werden wir uns vielleicht nie einig werden, und unser Verständnis von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Privatsphäre mag nicht zueinander passen. Aber wir sind Teil ein und derselben globalen Wirtschaft und Wissenschaftsgesellschaft.
Darum wünsche ich mir ein anderes und besseres China-Gefühl in Deutschland. Eines, das schon immer Grundlage für Fortschritt und Innovation war: Neugier statt Angst. Denn ich empfinde China als Herausforderung und nicht als Bedrohung. Wenn wir lernen, die Chinesen besser zu verstehen, dann müssen wir China nicht fürchten.
Martin Schnaack ist Gründer und CEO von Avantgarde. Die Agenturgruppe, die sich auf Brand Experience spezialisiert hat und Marken strategisch berät, hat ihren Hauptsitz in München und beschäftigt rund 700 Mitarbeiter in sieben Ländern, darunter in den USA und in China. Auf der Kundenliste stehen Marken wie Mercedes, Porsche, BMW, Lufthansa und Samsung.