Gastbeitrag:
Dazu müssen wir Mauern einreißen
Die Praxis, Kreativagenturen und Mediaexperten getrennt zu briefen, ist gängig. Falsch ist sie dennoch, sagt Publicis-Chefstratege Arne Brekenfeld. Erst in der Zusammenarbeit entfalten beide ihr wahres Potenzial.
Die Zusammenarbeit zwischen Kreativen und Mediaexperten ist geprägt von Missverständnissen und Vorurteilen. Kein Wunder, dass sie seit den frühen 90er-Jahren getrennte Wege gehen. Wenn manche Agenturen diese Trennung nun wieder aufheben, klingt das in manchen Ohren, als wollte man die Zeit zurückdrehen oder einen Fehler korrigieren. Dem ist nicht so. Die Fullservice-Agentur der Vergangenheit ist keine Zukunftsoption.
Tatsächlich geht es in der Frage, wie Kreation und Media organisiert sind nicht um Kreation oder Media, um die Experten beider Disziplinen, sondern vielmehr um den Dritten im Bunde: den Kunden. Um ihm auf dem Weg der Marketing Transformation zu helfen, müssen wir uns auf unser gemeinsames Ziel fokussieren und unser Denken und Handeln darauf ausrichten. Dazu müssen wir Mauern einreißen.
Warum ist das nicht schon viel früher passiert? Was ist in der Vergangenheit schiefgegangen, dass wir uns heute in einer Situation wiederfinden, in der wir mühsam erneut zusammenführen, was wir einst – voller Stolz! – getrennt haben?
Bis in die frühen 80er war die Welt überschaubar
Werfen wir einen Blick zurück. Bis in die frühen 80er-Jahre war die Zahl der Werbeträger überschaubar. Wer ein neues Waschmittel oder einen Kleinwagen auf den Markt bringen wollte, platzierte seine Werbung mehr oder weniger an den gleichen Stellen: TV- und Funk-Spot in den Öffentlich-Rechtlichen, Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften, Plakate. Mit dem Aufkommen des Privatfernsehens stieg die Zahl der Werbekanäle und -umfelder massiv an. Die Entscheidung, wo die von den Kreativen anvisierten Interessensgruppen an welchem Punkt ihrer Consumer Journey mit der Markenbotschaft in Kontakt kommen sollten, wurde komplizierter.
Folglich musste die von den Kreativen auf detaillierte Persona-Profile ausgerichtete "Big Idea" mit Erkenntnissen aus der Medien- und Konsumforschung zusammengebracht werden. Das 6-seitige Motivfeuerwerk im "Spiegel", der 40-Sekünder während "Beverly Hills 90210" oder das City-Light-Stakkato entlang des täglichen Arbeitsweges des Kunden-CEOs waren nicht länger die sichere Bank, wenn es um die wirkungsvollste Verteilung der Werbegelder ging. Die Mediaplanung professionalisierte sich, baute auf der Basis der – zunächst hauptsächlich von Medien – bereitgestellten Insights zu Zielgruppen und ihrem Mediennutzungsverhalten eigene Beratungskompetenz auf.
Im Zweifelsfall ist immer der jeweils andere schuld
Die Trennung von Media und Kreation vollzog sich im Zuge fortschreitender Spezialisierung und Professionalisierung und zementierte sich spätestens mit der Abschaffung der AE, dem Schaltungshonorar der früheren Fullservice-Agenturen. Stattdessen trieb das volumengetriebene Wertschöpfungsmodell aus dem Medieneinkauf die Skalierung des Geschäftsmodells voran. In den globalen Kommunikationsnetzwerken sorgten die Kreativagenturen für die Lorbeeren, die Mediaagenturen für das Geld. Mit den Jahren entwickelten sich die Agenturtypen nicht nur in ihrem Geschäftsmodell, sondern auch in ihren Kulturen und Arbeitsweisen immer mehr auseinander.
Verständnis und Verständigung blieben auf der Strecke – angesichts der explosionsartigen Zunahme neuer digitaler Werbeträger ab der Jahrtausendwende fatal. Die Kreative ärgerten sich, weil die Mediaexperten die Marketingbudgets der Kunden in Kanäle verteilten, in denen die kreative Idee nicht funktionierte. Die Medialeute rauften sich die Haare, weil etwa eine stark personalisierte Konsumentenansprache mit den vorgelegten Kreationen unmöglich war. Wenn eine Kampagne nicht wirkte, waren immer die anderen schuld. Der Kunde war der Leidtragende, wenn auch nicht ganz unschuldig, dachte und agierte er doch in den gleichen Silos.
Budgeteinsparungen im zweistelligen Bereich
Spätestens seit dem weiteren exponentiellen Anstieg mobiler und sozialer Kommunikationskanäle und der wachsenden Bedeutung datengesteuerter Konsumentenansprache sind solche Reibungsverluste nicht mehr vertretbar. Media und Kreation müssen so früh wie möglich zusammenarbeiten. Nicht der eine als Supervisor des anderen. Denn beide sind stark auf ihrem Gebiet. Die Kreativagenturen verstehen Konsumenten emotional, erkennen motivationale Trigger und Kaufmotivationen sowie langfristige Markenbindungsfaktoren. Auf dieser Basis entwickeln sie kreative Ideen, welche die Proposition einer Marke überraschend und aufmerksamkeitsstark in Szene setzen. Die Mediaagenturen wiederum verstehen das Medien- und Konsumverhalten der Konsumenten. Sie verfügen über Konsumentenprofile (IDs), die sie über Plattformen wie Publicis Peoplecloud für ihre Kunden nutzbar machen, und ermöglichen so einen hocheffizienten Einsatz von Marketingbudget.
Arbeiten Media- und Kreativagentur auf derselben Datenbasis zusammen, sind die Maßnahmen maximal effektiv und erzielen nachweislich Budgeteinsparungen im deutlich zweistelligen Prozentbereich. Dies setzt allerdings voraus, dass Kunden Agenturpartner beauftragen, zwischen denen das Daten-Know-How bedingungslos ausgetauscht werden kann. Und dass sie ihrerseits die Mauern zwischen Marketing- und Mediaabteilungen einreißen, Media und Kreation nicht länger getrennt führen und ausschreiben und damit das Potenzial der kombinierten Stärke voll ausschöpfen.