Landauf, landab sprießen sie aus dem Boden, die Customized Agencies. Die Zweisamkeit hat Vorteile für beide Seiten. Die Agentur bindet einen prestigeträchtigen Kunden an sich und sichert sich für mehrere Jahre einen vertraglich garantierten (Millionen-) Umsatz. Der Auftraggeber sitzt nicht alle naselang in zeitraubenden Auswahlverfahren und darf darauf vertrauen, für die Agentur die Nummer eins zu sein. Ihm und nur ihm gehört die Aufmerksamkeit der kreativen Exzellenzen, die er einkauft. Der „klare Fokus auf die Bedürfnisse eines einzigen Kunden hat sich für uns als vorteilhaft erwiesen“, lässt McDonald’s wissen. Und hebt LTTs „sehr hohe Identifikation mit der Marke“ sowie „eingespielte Teams auf beiden Seiten“
hervor. Das erlaube Formen der Zusammenarbeit, „die uns noch effektiver machen“.

Ähnlich äußert sich Jens Lemon, Leiter Marketingkommunikation bei BMW Deutschland: „Im Arbeitsalltag funktioniert es sehr gut, mit Spezialisten zusammenzuarbeiten und nicht mit oft wechselnden Teams. Die Abstimmungsprozesse werden dadurch effizienter.“ Die maßgeschneiderte Agentur sei mit ein Grund gewesen, sich für Heye Grid zu entscheiden. 

Oftmals nur eine Liaison auf Zeit

Es ist eine Gegenbewegung zum promisken Projekthopping, das in der Werbeszene heute gang und gäbe ist. Im Idealfall entsteht ein inniges Miteinander wie mit einer ausgelagerten Inhouse-Agentur, die über intime Kenntnisse des Unternehmens verfügt und ein Gespür entwickelt für Wünsche und Vorlieben des Marketings. Doch wer sich dem anderen mit Haut und Haar verschreibt, liefert sich ihm auch aus – ihm und seinen Stimmungsschwankungen. Opel erlebte das vergangenes Jahr. Als Autonarr André Kemper für seine alte Liebe Mercedes neu entflammte, ging seine Liaison mit den Rüsselsheimern in die Brüche. Das Aus für die Agentur André nach nur 18 Monaten. 

Für gewöhnlich aber reicht nicht die Agentur die Scheidung ein, sondern der Auftraggeber. Lidl Deutschland trennte sich unlängst von den Freunden des Hauses. „Nach so vielen Jahren eine so erfolgreiche Partnerschaft aufgeben zu müssen ist schon hart und tut weh“, sagt Boris Schmarbeck, Kreativchef der Freunde. 2008 gründete Zum goldenen Hirschen die kleine Schmiede (40 Mitarbeiter) für den Discounter aus Neckarsulm – damals vor allem, um Interessenkonflikte mit dem Kunden Real zu vermeiden. Anders als Zum roten Hirschen, der 2015 gestartete  Ableger für Media-Markt, verstand sich Freunde des Hauses jedoch nie als Veranstaltung für einen einzigen Klienten. Sofort nach der Gründung habe man nach weiteren Mandaten  Ausschau gehalten, sagt Schmarbeck. Rasch stießen namhafte Adressen hinzu. Ing-Diba, Kühne, Weleda. Das zahlt sich jetzt aus. Nach Lidls Abschied steht der Betrieb nicht still. Neukunden wie Das Erste und Homann trösten die Freunde über den Verlust hinweg.

Der Zuschnitt auf ein Markenunternehmen ist die größte Stärke der Customized Agencies – aber zugleich auch ihre Achillesferse. Kommt es zum Bruch, droht die Abwicklung. Denn so unterschiedlich die Werbe-Startups der jüngsten Generation aufgestellt sind: Anderen Kunden widmen sie sich allen falls am Rande. Antoni hat nach eigenen Angaben einen zweiten Auftraggeber an der Angel (W&V 39/2016), aber der wird in Bedeutung und Umsatzvolumen kaum an Mercedes ranreichen. Heye Grid betreut neben BMW noch die Schweizer Outdoormarke Mammut, seit April sogar als internationale Leadagentur. Doch die Gewichtung ist eindeutig: „90 Prozent der Energie gehören BMW“, so Heye-Chef Mark Niedzballa.  Akteure wie die McBruderschaft LTT, der rote Media-Markt-Hirsch und Ogilvys L’Oréal-Cube bekennen sich bedingungslos und unerschütterlich zur Einehe. 

Ein Risiko namens Monokultur 

Das ist ein Wagnis, betriebswirtschaftlich sowieso, über kurz oder lang aber auch kreativ. Denn die Monokultur droht die Ideenproduktion irgendwann einzulullen. Als (weitgehend) pitchfreie Zone mag das Ein-Kunde-Biotop zunächst wie ein Schlaraffenland erscheinen: keine regelmäßigen Nacht- und Wochenendschichten mehr mit ungewissen  Erfolgsaussichten, keine Ablenkung durch dringende Aufträge anderer Marken. Doch damit geht auch der Kitzel verloren, den das Kräftemessen in Pitches bewirkt, der Adrenalinstoß, wenn man gewinnt, das Abenteuer, unbekanntes Terrain zu erschließen. „Ich hätte für Grid gern noch mehr Kunden“, räumt Heye-Mann Niedzballa ein, „vielleicht eine Handvoll kleiner Marken, die den Kreativen Gelegenheit geben, sich anderweitig auszutoben.“ Aber: „Nicht jeder Werbungtreibende kann sich damit anfreunden, die zweite oder dritte Geige zu spielen.“ 

Rezepte gegen den Trott 

Mitspieler wie Antoni und Zum roten Hirschen versichern: Muskeln und Spannkraft der Kreation schlaffen nicht ab. „Ermüdungserscheinungen stelle ich bisher nicht fest“, so Antoni-Manager Sven Dörrenbächer. Mercedes sei nicht ein Kunde, sondern mehrere in einem. Die Markenwelt mit dem Stern als Kosmos für sich mit Dutzenden, Hunderten von Facetten. Das nimmt auch Jens Kurznack für Media-Markt in Anspruch. „Das Spektrum reicht von Markenkommunikation und klassischer Werbung über Corporate Design, Events und Pointof-Sale-Marketing bis hin zu PR und interner Kommunikation“, erklärt der Chef des roten Hirschen. „Langweilig wird uns nicht.“ Aber der rote Hirsch und Antoni sind beide erst seit vergangenem Jahr am Werk. Die Liebe ist noch frisch. „Die wirklich guten Kreativen arbeiten zwei, drei Jahre auf einem einzigen Kunden“, sagt Mark Niedzballa. „Dann sind sie meistens durch mit dem Thema.“ Je länger die Beziehung dauert, desto häufiger beschleicht einen der Gedanke, ein und dasselbe in einer Endlosschleife wiederzukäuen, egal ob der Kunde nun Mercedes heißt oder BMW. „Irgendwann hat man als Kreativer das Gefühl, alles schon präsentiert zu haben und das Kundenfeedback schon vor dessen Feedback zu kennen“, räumt Heyes Kreativdirektor Tobias Bundt ein. „Man muss sich immer wieder fragen: Mache ich das, weil es dem Kunden gefallen könnte oder weil ich selbst voll dahinterstehe?“

Die Agentur in der Agentur steuert eingefahrener Routine zweifach entgegen. „Für BMW versuchen wir immer wieder was zu machen, das nicht gebrieft wurde, im Tagesgeschäft und darüber hinaus.“ Als willkommene Abwechslung dient zudem Grids zweiter Kunde, der Alpinspezialist Mammut. „Auch Premium, auch technisch, auch international tätig, aber kleiner, unabhängiger und dadurch wirklich mutig und unkonventionell in der Kommunikation“, sagt Bundt. „Die perfekte Ergänzung.“ 

Interne Inspirationsquelle

Leo’s Thjnk Tank hingegen hat nichts als den Big Mac. Und Cheeseburger, Doppel-Cheeseburger, Triple- Cheeseburger. Beratungschef Nils Endres betont zwar: „Die Marke McDonald’s ist so breit aufgestellt und so facettenreich, dass es nie eintönig wird.“ Doch er sieht durchaus die Gefahr, dass die McAgency irgendwann im eigenen Saft schmort. „Deshalb legen wir unter anderem ein internes Inspirationsformat auf “, so Endres. „Wir stellen Best Cases aus unterschiedlichen Branchen und Disziplinen vor und schauen uns an, was sich daraus für unsere Arbeit lernen lässt.“ Zu McDonald’s jüngst gestartetem Snapchat-Kanal inspirierte LTT eine Kampagne der Coca-Cola-Marke Sprite in Brasilien. Die bislang sporadischen Veranstaltungen sollen künftig regelmäßig stattfinden. Im Oktober war Facebook zu Gast in Sendling, um mit Werbern und McDonald’s-Leuten Denkbares zu sondieren. Twitter und Google sollen folgen. Ein eigenes Team übernimmt die Planung. 

Sie treffen einen Nerv, die Werbeschmieden nach Maß. Sie verheißen Auftraggebern exklusive Behandlung und Agenturen lukrative Etats, sie verkürzen die Wege zwischen den Beteiligten, agieren flexibler und dank des engen Kontakts zielorientierter als herkömmliche Buden. Aber sie stehen auch vor der Herausforderung, nicht im Trott zu versinken. Überlebensfähig ist die Zweierkiste auf Dauer nur, wenn sie sich immer wieder neu erfindet. Kunden ahnen das. Und haben sich gegen die Monokultur ein eigenes Rezept einfallen lassen: einen Kreis maßgeschneiderter Agenturen, die miteinander konkurrieren: den Customized Agencies Pool. Aber das ist eine andere Geschichte.

Dieser Artikel erschien zuerst in der W&V Nr. 47/2016. 

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