Katja Hertin

Katja Hertin

"Was würdest du tun, wenn du keine Angst hättest?"

Diese Frage stelle ich mir seit einigen Jahren, wenn wieder mal große oder kleine Entscheidungen im Beruf anstehen, die mir spontan ein mulmiges Gefühl im Magen verursachen. Ein Auftritt vor größerem Publikum, eine berufliche Herausforderung auf unbekanntem Terrain, ein Aufgabe, mit der man auch krachend scheitern kann – all das habe ich in jüngeren Jahren viel zu oft und schnell abgelehnt mit Argumenten wie "Das bin ich nicht", "Das liegt mir nicht", "Ich bin keine Rampensau", "Ich bin kein Technik-Freak", "Ich bin kein Zahlen-Mensch" usw.

Erst relativ spät habe ich gemerkt, dass ich mich hinter meiner "Authentizität" versteckt habe, um Situationen aus dem Weg zu gehen, die mir Angst machen. Und aus vielen Gesprächen mit anderen Frauen weiß ich, dass ich mit dieser Strategie nicht allein war.

Irgendwann habe ich es geschafft, den Schalter umzulegen und die Chancen zu ergreifen, die mich gereizt haben – jenseits aller Versagensängste. Das Beste ist, dass ich gemerkt habe, dass ich mich dafür gar nicht verbiegen muss. Man muss kein Narzisst sein, um eine gute Chefin abzugeben. Man muss kein Nerd sein, um in der Digitalbranche erfolgreich zu sein. Man muss kein Schaumschläger sein, um kreative Ideen zu verkaufen.

Was mir dabei geholfen hat: Starke weibliche Vorbilder, die sehr eigenständig und unkonventionell ihre Rolle ausgefüllt haben. Bestes Beispiel ist für mich DLD-Gründerin Steffi Czerny.

Irmgard Hesse, Geschäftsführende Gesellschafterin von Zeichen & Wunder

Irmgard Hesse

Irmgard Hesse

Wer sich nicht traut, kriegt auch nix geschenkt. Deshalb sollten Frauen aktiv nach Verantwortung greifen, wenn sie im Angebot ist. Also: erkenne und betrete den roten Teppich, wenn er vor Dir ausgerollt wird. Auch wenn das bedeutet, sich raus aus der Komfortzone auf unbekanntes Terrain zu begeben. Denn: Yes, you can! Mit Sicherheit alles, was man Dir zutraut und wahrscheinlich noch viel mehr. Selbstüberschätzung ist keine klassische Frauentugend, also: ran an den Speck.

Macht ist nicht grundsätzlich "böse", sondern macht auch Spaß, führt zu mehr Selbstbestimmtheit und eröffnet kreative Gestaltungsräume. Und wir haben doch was zu sagen und beizutragen, oder? Wer nicht genug imponierende Lebensläufe und passende Vorbilder findet, wird am besten selbst eines.

Eva Reitenbach, Managing Director bei Oddity Jungle

Eva Reitenbach

Eva Reitenbach

Ich glaube, dass es enorm wichtig ist, offen zu bleiben, gerade wenn man alte Strukturen zum Einsturz bringen möchte. Das Leben findet letztendlich seinen Weg, wenn man genug Selbstvertrauen hat. Es ist dafür nicht immer entscheidend, was genau man sich zum Thema macht, sondern, dass man die Bühne überhaupt erst einmal betritt und Präsenz zeigt. Überhaupt ist Präsenz vielleicht nicht etwas für jede Frau, aber es ist etwas, wovon wir momentan auf jeden Fall noch so einiges brauchen, wenn sich etwas verändern soll. Gute Vorbilder, Frauen, die sich auf Bühnen und vor Teams trauen und ihre Expertise nicht für sich behalten wollen. Ich wünschte, mir hätte früher mal jemand gesagt: Lerne früh zu netzwerken und auch auf weibliche Schwarmintelligenz zu vertrauen. Als Frau musst du es nicht alleine schaffen, in keiner Branche.

Julia Saswito, geschäftsführende Partnerin bei Triplesense Reply und Practice Leader Reply Digital Experience:

Julia Saswito, Triplesense Reply

Julia Saswito, Triplesense Reply

Erst einmal finde ich sehr erfreulich, dass sich in der Branche offenbar etwas tut und ich immer häufiger Meldungen über weiblich besetzte Führungs- und C-Level-Positionen lese.

Aber ist das schon genug? Ganz bestimmt nicht. Gerade die Digitalbranche ist im Management extrem männlich geprägt – schaut man sich allein die Top 10 der größten Digitalagenturen laut BVDW-Ranking an, kommen einem ehrlich gesagt die Tränen. Liegt das daran, dass Frauen auf diesen Positionen nicht bestehen? Bestimmt nicht – aber anscheinend kommen sie nur sehr schwer überhaupt dorthin. Und das liegt nicht an mangelnder Qualifikation oder daran, dass es einfach nicht genug geeignete Frauen gibt. Im Digitalbereich arbeiten zwar immer noch deutlich weniger Frauen als Männer, das Verhältnis liegt mutmaßlich bei ein zu zwei Drittel. Aber noch nicht einmal dieses eine Drittel findet sich auf den Führungsebenen wieder. Gleiches gilt für Speakerpanels.

Ich weigere mich, die Verantwortung für die mangelnde weibliche Präsenz in Chefetagen bei den Frauen abzuladen, nach dem Motto "Zeigt euch, fordert mehr." Auch Führungskräfte werden empfohlen oder eingestellt von Headhuntern, Personalverantwortlichen und eben anderen Führungskräften, Vorständen und Aufsichtsräten. Und genau die müssen besser hinsehen, Vorurteile beiseitelegen, bewusst auf eine ausgewogene Kandidatenauswahl achten, gezielt weibliche Talente suchen und fördern, Pay Gaps erkennen, für alle alternative Führungsmodelle wie Tandems ermöglichen und wirklich überzeugt davon sein, dass erfolgreiche und gute Führung einfach rein gar nicht geschlechtsabhängig ist.

Und so lange Frauen immer noch gerne die Frage "Und, wie machen Sie das dann mit den Kindern?" gestellt wird, gibt es noch sehr viel zu tun.

Als Tipps an mein jüngeres Ich, das ziemlich früh in eine Führungsposition kam – ausgewählt übrigens von einer Frau, meiner ehemaligen Geschäftspartnerin Katayoun Parandian:

  1. Werde nicht zu schnell ungeduldig – Veränderungen brauchen manchmal Zeit und zwischendrin geht die Welt bestimmt nicht unter.
  2. Feiere die Erfolge ein bisschen ausgiebiger, auch mit deinem Team – bevor du zur nächsten Herausforderung "rennst"..
  3. Sei richtig stolz auf das, was du erreicht hast. Es ist kein Zufall oder Glück, sondern hat tatsächlich mit deiner Leistung zu tun.

Silke Kreiling, Executive Director bei der Strategieagentur Diffferent:

Silke Kreiling, Diffferent

Silke Kreiling, Diffferent

Natürlich fallen mir viele Tipps an mein jüngeres Ich ein: Nutze jede Chance, ein Stückchen näher an "den Tisch" zu kommen. Sei fokussiert, präsent und vernetze dich nicht nur mit den Leuten, die dir sympathisch sind, sondern vor allem mit den richtigen Leuten. Sei unverschämt, verschiebe gezielt Grenzen, provoziere und hab keine Angst davor, aus der Mädchen-Rolle zu fallen. Das Schlimmste, was dir dadurch passieren kann, ist keine Karriere zu machen. Und das machen leise Mädchen ja auch nicht.  

Viel lieber würde ich den heutigen 23-jährigen Berufseinsteigerinnen aber sagen: Für euch wird es leichter sein. Wir sind da. Wir helfen. Denn der eigentliche Hebel für mehr Frauen in Führungspositionen liegt bei Frauen in Führungspositionen. Wer es heute nach oben geschafft hat, steht in der Pflicht, denen die nachkommen, den Weg leichter zu machen.

Frauen im oberen Management müssen sich für Quoten einsetzen, Ungerechtigkeiten anprangern, sich mit "Frauenthemen" beschäftigen. Unsere Position ist so gefestigt, dass wir keine Angst vor Sanktionen haben müssen. Nur Frauen in Führungspositionen können mit dem nötigen Biss und Nachdruck für andere Frauen eintreten. Wir sind zwar noch lange nicht die Mehrheit, aber wir sind genug, um etwas zu verändern. Mein Rat ist daher: Frauen, dreht euch um und zieht!

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Stéphanie Rupp, Managing Director Healthcare & Beauty bei Saatchi & Saatchi:

Stéphanie Rupp, Saatchi

Stéphanie Rupp, Saatchi & Saatchi

Die Kommunikationsbranche in Deutschland hinkt im internationalen Vergleich in punkto Gleichberechtigung von Frauen stark hinterher. Selbst gemessen an traditionell "männlich getriebenen" Branchen wie der Automobilindustrie, ist noch Luft nach oben.

Damit sich daran etwas ändert, brauchen wir dringend eine andere Mentalität, wenn es um die lange physische Präsenz im Büro geht. In Agenturen ist sie traditionell der Maßstab für persönliches Engagement – ein Fehlschluss: Präsenz ist keine Leistung und mit moderner Technologie kann man sich heutzutage von überall gut verbinden und kommunizieren.

Weiterhin fehlen uns die Vorbilder in führenden Positionen. Und die Attraktivität: Wir müssen Work-Life-Integration schaffen, flexible Arbeitsmodelle anbieten, Kinderbetreuung unterstützen und für individuelle Weiterentwicklungsmöglichkeiten sorgen. Nicht nur, um weibliche Talente anzuziehen, zu fördern und zu halten, sondern um generell und geschlechterübergreifend die Erwartungen an einen attraktiven Arbeitgeber zu erfüllen.

Ich glaube auch, dass wir einen Perspektivwechsel brauchen, wenn es um die Definition von Führungsstärke geht. Frauen sind großartige Team-Player und Einflussnehmerinnen, sie verfügen über emotionale Intelligenz und Widerstandsfähigkeit. Diese Skills werden in einer sich schnell verändernden, komplexen Welt immer wichtiger. Wenn wir anfangen, diese in den Mittelpunkt zu stellen, werden wir automatisch das Entstehen einer wunderbaren neuen Generation von weiblichen Führungskräften erleben.

Mein Tipp an mein jüngeres Ich: Take a leap of faith in yourself, if you fail you will only get smarter.

(Setze Vertrauen in dich selbst und habe den Mut, dein Ding durchzuziehen – solltest du dennoch scheitern, wirst du nur klüger.)


Annette Mattgey, Redakteurin
Autor: Annette Mattgey

Seit 2000 im Verlag, ist Annette Mattgey (fast) nichts fremd aus der Marketing- und Online-Ecke. Als Head of Current Content sorgt sie für aktuelle Geschichten, Kommentare und Kampagnen auf wuv.de. Außerdem verantwortet sie das Themengebiet People & Skills.