Bildlich kann man sie sich wie eine unendlich lange Kette von Blöcken vorstellen. Jeder einzelne Block beinhaltet unterschiedliche abgeschlossene Transaktionen. Ist ein Block voll, wird er mit einer Art Stempel in Form eines Codes versiegelt. Eine Transaktion muss nicht unbedingt eine Geldüberweisung sein. Auch wer bei Wahlen welche Partei gewählt hat, wer wen geheiratet hat, wer welche Aktien gekauft hat und vieles mehr lässt sich in einer Blockchain speichern. Das geschieht alles anonym.

Immer noch zu komplex? Dann hilft die Definition von Collin Müller. Er unterstützt seit mehr als 20 Jahren Unternehmen dabei, Wachstum und Effizienz durch digitale Transformation zu erreichen. Müsste er einem Kind erklären, was die Blockchain ist, würde er das so tun: "Ein Kind hat in der Klasse die Aufgabe, einen Sack von Süßigkeiten zu verteilen. Und das führt bestimmt zu Streitereien, wenn der Lehrer nicht hilft", sagt Müller. "Aber da kommt die Blockchain ins Spiel. Das ist eine magische Kiste, in der sich alle Süßigkeiten befinden. Die Blockchain stellt sicher, dass jedes Kind eine gerechte Zahl an Süßigkeiten bekommt, ohne dass man einen Lehrer braucht."

Genau darum geht es bei der Blockchain: Die Inter­mediären beziehungsweise Mittelsmänner werden ersetzt. In diesem fiktiven Beispiel war das der Lehrer. Immer wenn es um Transaktionen geht, stellen bisher Vermittler sicher, dass alles fair zugeht und jeder nach den Regeln spielt. Wie zum Beispiel Banken, Notare oder zentrale Online-Plattformen wie Amazon oder Paypal. Bei der Blockchain dagegen werden zentrale Instanzen überflüssig. Aber wie?

Wie funktioniert die Blockchain?

Das beste Anwendungsbeispiel der Blockchain ist bisher die Finanzindustrie und die Überweisung von Geld. Heute funktioniert das so: Egal, ob wir per Kreditkarte, Paypal oder per Lastschrift bezahlen – die Kaufabwicklung läuft immer über einen Drittanbieter und damit über ein zentrales Computersystem. Das kostet Gebühren und wir vertrauen ihm sensible Daten an. Hacker freuen sich, weil es immer einen zentralen Angriffspunkt gibt. Eine Blockchain löst diese Probleme.

Wie eine Geldüberweisung heute funktioniert, weiß jeder von uns. Die Bank ist unser Vermittler. Was macht aber ein Bank-Mitarbeiter? Eigentlich nicht viel. Er überprüft, ob du genug Geld auf deinem Konto hast und vermerkt die Überweisung in deinem Kontoauszug. Es ist also nur ein einziger Eintrag notwendig, um eine Überweisung durchzuführen. Du alleine könntest das aber nicht, obwohl es dein Konto und dein Geld ist.

Das wichtigste Stichwort bei der Blockchain lautet Vertrauen. Um Vertrauen zueinander zu schaffen, greifen wir auf Intermediäre zurück. Wir sind immer von Dritten abhängig. Mit der Blockchain holen wir uns den Zugang zu unseren eigenen Daten zurück und können von A nach B direkt Geld überweisen. Man spricht bei der Blockchain auch von einem Peer-to-Peer-Netzwerk.

So würde das dann aussehen: Anstatt zur Bank zu gehen, würdest du eine der verschiedenen Kryptowährungen aussuchen. Das sind digitale Währungen. Sagen wir Bitcoin. Du lädst eine sogenannte Bitcoin-Wallet-App auf dein Handy, Tablet oder deinen Laptop herunter. Sie ist deine digitale Geldbörse. Dann gibst du an, dass du beispielsweise zwei Bitcoins an deine Familie im Ausland überweisen möchtest. Sobald dies geschehen ist, prüft jeder einzelne Prüfer, der sogenannte Bitcoin-Miner (siehe Infografik unten), ob die Transaktion auch legitim ist, also ob dein Konto überhaupt abgedeckt ist. Anschließend versiegelt einer der Miner diesen Geldtransfer in einen Block und speichert ihn für alle anderen Blockchain-Teilnehmer sichtbar ab. Der Empfänger kann die digitalen Münzen einfach in normales Geld wechseln. Die zentralen Vorteile: Eine Bitcoin-Überweisung ist schnell und günstig.

Blockchain

(Illustration: Sarah Unterhitzenberger)

"Im Finanzbereich wird die Blockchain bereits in drei bis sieben Jahren eingesetzt werden", schätzt Müller. Vor allem die Anonymität sieht er als Vorteil. Eine Bank weiß immer, wie viel Geld du an wen überweist. Bei der Blockchain wird immer nur die öffentliche Wallet-Adresse, quasi die Kontonummer, gespeichert. "Jeder kann so viele Wallet-Adressen generieren, wie er möchte", erklärt Müller. "Es gibt mehr Wallet-Adressen als es Atome im Universum gibt."

Alle Blockchain-Teilnehmer sehen also jede einzelne gespeicherte Transaktion, wissen aber nicht, wer dahinter steckt. Diese Anonymität nutzen manchmal Kriminelle im sogenannten Darknet aus. Die Technologie selbst ist vor Hackern geschützt. Sobald jemand einem Miner falsche Daten anhängt, würde das sofort jedem auffallen, weil ja die Daten nicht mehr mit der rest­lichen Datenkette übereinstimmen. Denn wie bereits erwähnt: Die Blockchain ist wie ein digitales öffent­liches Kontobuch und jeder Miner weltweit hat eine Kopie. Führt jemand eine Transaktion durch, erscheint der Vorgang auch bei allen anderen. Erst wenn die Mehrheit gemeinsam eine Manipulation planen würde, wäre die Blockchain in Gefahr. Das ist sehr unwahrscheinlich, denn ändert man einen Block in der Kette, müsste man alle anderen ebenfalls verändern – das ist fast unmöglich und würde sehr viel Strom und Rechenleistung kosten. Deswegen ist die Blockchain eines der sichersten Systeme, die wir überhaupt kennen.

Die Blockchain – eine digitale Revolution?

Auf die Frage, wann und inwiefern die Technologie tatsächlich in unseren Alltag eindringen wird, antwortet Müller: "In den nächsten zwei Jahren praktisch gar nicht. In den nächsten zehn Jahren massiv". Der Experte vergleicht die Technologie mit der Smartphone-Revolution. "Vor zehn Jahren konnte sich keiner vorstellen, dass wir das Smartphone irgendwann fast für alles im Leben verwenden werden", sagt Müller. Seiner Meinung nach wird das auch mit der Blockchain so sein, nur dass sie im Hintergrund laufen wird. "So wie die wenigsten Leute erklären können, wie die Website im Browser entsteht, werden auch die allerwenigsten Leute erklären können, wie Blockchain im Detail funktioniert", sagt Müller. Und das ist auch nicht schlimm. Denn du musst auch nicht wissen, wie man programmiert, um eine App oder Website nutzen zu können. "Die Blockchain wird ganz selbstverständlich viele Prozesse im Hintergrund regeln, wird an manchen Stellen die Intermediäre ausschalten und wir werden damit arbeiten, ohne dass die meisten überhaupt wissen, dass die Blockchain eine Rolle spielt."

Müllers Einschätzung zufolge hat die Blockchain das Potenzial, noch transformierendere Wirkung zu haben als das Internet. "Das Internet hat nicht die existierenden Strukturen verändert, sondern die Prozesse deutlich beschleunigt", sagt er. Früher haben wir im Otto-Katalog Dinge bestellt, heute machen wir das über Amazon. Früher sind wir zur Bank gegangen, heute machen wir alles per Online Überweisung. Die Strukturen sind aber dennoch gleich geblieben. "Die Blockchain ist eine große Revolution. Sie verändert die Organisation unserer Wirtschaft und Gesellschaft", erklärt Müller.

Wie bei jeder Technologie, gibt es auch Nachteile. Zwar wird die Blockchain in der Zukunft möglicherweise vieles verändern - ganz umweltfreundlich ist diese aber nicht. Vor allem wenn es um Kryptowährungen geht. In Island zum Beispiel sind die Stromkosten so niedrig, dass riesige Bitcoin-Farmen sich dort niedergelassen haben. Das Problem: Die Miner verbrauchen mehr Strom und Energie als alle isländische Haushalte zusammen. Jede einzelne Transaktion von Kryptowährungen benötigt enorm hohe Rechenleistung. Diese ist heutzutage für den Normalverbraucher nicht realistisch. Außerdem steckt Blockchain noch in den Kinderschuhen. Es gibt vereinzelt praktische Beispiele, wie die Nutzung von Blockchain im Alltag aussehen könnte - allerdings sind auch diese nicht für den normalen Bürger zugänglich.

Fakt ist: Theoretisch gesehen brauchen wir in Zukunft keine Banken, keine Versicherungen, ja sogar keine großen Online-Marktplätze mehr. Das ist der Grund, warum die Blockchain mehr ist, als nur ein Hype. Die Gesellschaft, wie wir sie kennen, existiert seit mehr als fünftausend Jahren und seitdem gibt es immer zentrale Instanzen. "Und jetzt kommt eine Technologie, die das Zeug hat, innerhalb weniger Jahrzehnte das alles aufzulösen", sagt Müller.

Dieser Artikel erschien zuerst bei lead.digital.de (2019)


Autor: Nadia Riaz

volontierte bei W&V und Kontakter, war anschließend Redakteurin bei LEAD, wo sie ihre Begeisterung für Digital- und Tech-Themen entdeckte. Nadia hat München für Hamburg ausgetauscht und schreibt jetzt als freie Autorin für W&V am liebsten über Blockchain und KI.