Startup-Kolumne:
Standort-Streit ist völlig fehl am Platz
Nico Lumma und Christoph Hüning vom Next Media Accelerator erklären bei W&V, warum Startups nicht nur Innovationstreiber nur für einige Metropolen sind, sondern für das ganze Land.
„Hamburg ist Meister der Selbsttäuschung“ hieß es jüngst auf Handelsblatt.com in einem vielbeachteten Artikel und es ging um die Hansestadt und ihre Gründerszene im Vergleich zu Berlin und München. Ein echter Aufreger? Gähn, das ist eine Diskussion, die seit 15 Jahren geführt wird und die niemandem weiterhilft. Wie langweilig diese deutsche Debatte zur Frage des einen wahren Standortes doch ist, sehen wir zum Beispiel an der Entwicklung in den USA, wo es nach Jahrzehnten der Dominanz des Silicon Valley immer mehr Investoren gibt, die ganz bewusst nicht mehr dort investieren, sondern in vielen anderen Städten im Land, die über gute Grundlagen für Startups verfügen: Universitäten, lokale Industrie, lebenswerte Stadt.
Deutschland ist die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt und wir leisten uns eine Diskussion, die vom Konzept der Kleinstaaterei geprägt ist, anstatt die Vorteile des ganzen Landes in den Blick zu nehmen und daraus Rückschlüsse auf eine geeignete Startup-Strategie zu ziehen. Es werden immer und immer wieder Vergleiche geführt, die hinken. Denn Deutschland ist ein zutiefst föderales und dezentrales Land, es gibt nicht ein wirtschaftliches Zentrum, es gibt viele. Das unterscheidet uns vom Silicon Valley, aber auch von Großbritannien, Frankreich oder Israel. Außerdem ist Deutschland das Land des Mittelstands und dieser agiert anders als Unternehmen, die an der Börse sind und pro Quartal reporten müssen.
Wenn wir also ein Land sind, dass in klassischen Industrien Weltmarktführer in der tiefsten Provinz hat, warum sollten dann Startups nur in den drei größten Städten des Landes stattfinden? Diese Diskussion ist völlig anachronistisch, denn das Internet sorgt ja gerade dafür, dass Distanzen übersprungen werden können, wie wir gerade in der Corona-Zeit alle selber feststellen können.
Wir brauchen keinen Wettkampf zwischen den drei größten Städten des Landes, sondern wir müssen darauf hinarbeiten, dass gemeinsam die Synergien genutzt werden. Berlin hat viele Venture Capital Firmen, Hamburg hat starke Branchen wie Luftfahrt, Logistik, Hafen und Medien, München hat tolle Universitäten, Automobilkonzerne, die Berge in der Nähe und das Oktoberfest, aber keine Stadt steht singulär da, sondern zieht die Kraft aus der lokalen und regionalen Wirtschaft, aus den Universitäten und aus dem kulturellen Treiben. Es wäre absurd, wenn alle drei Städte sich angleichen würden, sondern es macht mehr Sinn, dass die jeweiligen Vorzüge weiter ausgebaut werden. Hinzu kommt, dass auch in Deutschland immer mehr Startups in den Regionen entstehen, die dann einen sehr regionalen Fokus haben mit Bezug auf die jeweilige wirtschaftliche Ausprägung.
Aus unserer Perspektive beim next media accelerator macht es allen Sinn, dass wir in Hamburg sitzen, weil hier die Vernetzung mit der Medien- und Marketingbranche am besten funktioniert. Aber gleichzeitig sehen wir die Achse Hamburg-Berlin als ein gemeinsames Ökosystem, in dem wir uns selbstverständlich hin und her bewegen und auch Roadshows nach München oder Stuttgart bis nach Wien gehören zum Standardprogramm mit jedem neuen Batch. Und bei ca. 75% internationalen Teams im Programm versuchen wir auch nicht, innerdeutsche Unterschiede zu erklären. Unser Asset ist der gesamte deutschsprachige Medienmarkt, der größer ist als in den meisten Nachbarländern.
Viel spannender als die Frage, ob ein paar Euro mehr nach Berlin oder München geflossen sind ist aus unserer Sicht die Betrachtung, was in den Regionen passiert. Wir sind regelmäßig zu Gast bei der Innovate in Osnabrück, beim Newscamp in Augsburg oder beobachten interessiert die Hinterland Konferenz in Bielefeld.
Gemeinsam haben diese Regionen eins: Mit ihrer Innovationskraft stärken sie den Wirtschaftsstandort Deutschland und machen ihr Gebiet attraktiver für junge Menschen, die nach dem Studium nicht in eine der drei größten Städte des Landes ziehen wollen, um dort eine eigene Firma aufzubauen.
Und diese eine Randnotiz sei aus Hamburger Sicht gestattet: Die Aussage, “dass Hamburg anders als Berlin und München bereits vor Jahrzehnten versäumt hat, Messe und Flughafen an den Stadtrand zu verlegen” wirkt für uns unterhaltsamer, als es sehr wahrscheinlich gedacht war. Aber wer hat schon einmal jemanden sagen hören, dass die Lage des Flughafens in München attraktiv ist, der kein Münchner Taxiunternehmer ist? Und eine weitere Diskussion zum Flughafen Berlin lassen wir dann an dieser Stelle auch mal sein.